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Kurzgeschichte "Die Bucklige"

Eine Kurzgeschichte von Moni Jiru


Ich veröffentliche auf diesem Blog nun auch meine Kurzgeschichten. Diese Geschichte entstand für einen Wettbewerb und darf nun in die öffentliche Welt hinaus, in der Hoffnung, dich zum Nachdenken anzuregen, zu inspirieren oder gar einfach nur zu gelesen zu werden. :-)

Aber nun zur Geschichte...


 

Die Bucklige


Elvira wandelte schon ihr ganzes Leben mit diesem Buckel umher. Wann dieser kam, und warum, das wusste sie nicht. Es war, als wäre dieser Buckel, den ihr Rücken formte, immer schon da gewesen.


Während Elvira an ihrem Kaffeebecher nippte, und vor sich hin starrte, liefen die Passanten ohne sie zu bemerken, an ihr vorbei. Elvira saß am Rande eines stets belebten Marktplatzes. Sie hatte sich auf eine Steinbank unter einer Linde gesetzt, wie sie es jeden Samstag machte. Dann fühlte sich ihr Leben nicht so einsam an, hier mitten im Geschehen. Nicht, dass jemals jemand ein Wort zu ihr gesagt oder ihr ein Lächeln geschenkt hätte. Doch manchmal stellte sie sich vor, wie jemand neben ihr saß. Sie schloss dann einfach die Augen, und konnte beinahe die Anwesenheit dieses Gefährten spüren, so als wäre er schon da.

Doch Elvira hatte eingesehen, dass es diesen Gefährten nicht gab, zu lange hatte sie ihn gesucht. Sie hatte versucht, Freundschaften zu schließen, doch die Menschen sahen nicht über den Buckel hinaus, sahen nicht ihr Wesen, oder die Liebe, die sie zu geben hatte.

Sie hatte sich daran gewöhnt, allein zu sein, und so verbrachte sie auch diesen Samstag hier allein auf der Steinbank, schloss ihre Augen, und stellte sich vor, wie jemand neben ihr saß. Sie atmete seufzend aus, nippte noch einmal an ihrem Kaffee, und als sie bemerkte, dass dieser ausgetrunken war, wusste sie, dass es Zeit war, ihre Einkäufe nachhause zu bringen.

Elvira stand auf, bückte sich, um ihre schwere Einkaufstasche aufzuheben, und noch zu Boden blickend, setzte sie sich in Bewegung. Ihr steifer Rücken schmerzte, das Atmen fiel ihr heute besonders schwer. Sie machte einen weiteren Schritt und plötzlich lief sie direkt in jemanden hinein.


Sie erschrak, und spürte, dass sich jemand in sie hineinformte. Dort, wo normalerweise nichts war, weil ihr Brustkorb sich nach hinten wölbte, fügte sich nun der weiche Bauch eines Mannes gegen sie, während sein Oberkörper dort, wo ihr Buckel sich vorwölbte, nach hinten auszuweichen schien.


Elvira bemerkte, dass ihr Rücken plötzlich nicht mehr wehtat. Das Atmen fiel leichter, doch was war geschehen?


Sie hob den Blick, und sah, wie unmittelbar vor ihr, mehr noch, direkt an ihr, ein Mann mit weit geöffneten, erschrockenen Augen, stand. Sie blickte ihm direkt in die Augen und merkte, wie sein Körper sich ihrem entgegenbog, und die beiden gemeinsam ein Ganzes ergaben.


Dieser Mann hatte genauso wie sie eine Fehlhaltung, jedoch genau in die andere Richtung. Und so fügte sich sein Rücken in ihren ein, als wären sie ein Yin und Yang, das soeben zusammengefunden hatte. Und das erste Mal in ihrem Leben schien es, als hätte sie Stabilität gefunden. Als würde dieser Mann sie ausgleichen.


Und als die Passanten vorbeigingen, sahen sie ein Paar vor sich stehen, das sich aneinander lehnte und so ein Ganzes ergab.


Und sie sahen nicht mehr Elviras Buckel. Auch das hohle Kreuz dieses Mannes blieb auf einmal unbemerkt. Sie sahen nur noch die perfekte Ergänzung des jeweils anderen.


 

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